Was genau ist Selbstvertrauen? Reicht es, sich etwas vorzunehmen und es dann durchzuziehen? Ist das wirklich der Kern von Vertrauen in uns selbst? Selbstvertrauen ist mehr als nur das Erreichen von Zielen – es ist die innere Stabilität, auf die wir bauen, egal wie herausfordernd das Leben wird. Doch wie entsteht dieses Vertrauen? Wenn wir uns und andere als Teil eines größeren Systems betrachten – sei es in Familien, Gesellschaften oder Gruppen – wird klar, dass Selbstvertrauen im Zusammenspiel vieler innerer Anteile entsteht. Es geht dabei weniger um Technologie oder äußere Lösungen, sondern vielmehr um das Verständnis und die Führung unserer inneren Welt. In diesem Blogbeitrag erfährst du, wie du das Vertrauen in dein eigenes Selbst stärken kannst.
Überschrift #1: Was sind Systeme?
In den 1980er Jahren erweiterte Richard C. Schwartz die Haltung der Familientherapie. Während vorher der Blickwinkel auf die äußere Familie des Klienten fiel, brachte Schwartz die sogenannte "Multiplizität" ins Spiel. Mit einem Doktor in Familientherapie war das eine völlig neue Haltung: Nach Schwartz besteht der Geist aus relativ eigenständigen Teilpersönlichkeiten, von denen jede ihre eigene Sichtweise und Eigenschaften hat.
Mit Goethe lässt es sich so ausdrücken: "Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust." Also nicht gestört im Geiste, sondern vielfältig durch eine Anzahl von "inneren Identitäten".
Wir verhalten uns anders als Mutter, als Partner oder als Arbeitskollege.
"Fragen Sie mich als Mensch oder als Politiker?"
Diese Erweiterung brachte neue und spannende Ansätze. Schwartz arbeitete vermehrt mit Bulimie-Patienten und entwickelte dort sein IFS-Modell weiter. Seine Ergebnisse sprechen bis heute für sich.
Lass uns einen Blick auf Systeme werfen. Jeder Organismus, jede Institution, Gruppierung, ja sogar Nationen lassen sich durch die systemische Brille betrachten. Vereinfacht gesagt besteht jedes System aus einer Anzahl von Systemanteilen, die zueinander in Beziehung stehen. Und diese Beziehung wird durch jedes andere System beeinflusst.
Machen wir ein Beispiel anhand eines Familiensystems.
Nehmen wir Annas Ursprungsfamilie: Anna ist 42 Jahre alt, in einer deutschen Mittelklassefamilie aufgewachsen und hat weder Gewalt noch emotionalen Missbrauch erfahren. Anna sagt, dass sie eine wundervolle Kindheit hatte. Soweit so gut. Im kleinen Kreis funktioniert die Familie super. Trifft Anna ihre Eltern, stehen Harmonie und Freude ganz oben. Sobald Familienfeiern anstehen, verändert sich jedoch die Stimmung. Anna hat beobachtet, dass es ausreicht, wenn Tante Irina dabei ist. Sobald Irina physisch im Familiensystem auftaucht, verhält sich ihre Mutter irgendwie komisch, während der Vater leicht angespannt wirkt. Anna hat bemerkt, dass ihr diese Situation viel Kraft raubt. Sie achtet dann besonders darauf, dass es ihrer Mutter gut geht und versucht mit aller Kraft, die Harmonie aufrechtzuerhalten, was ihr selten gelingt. Sobald die Feier vorbei ist, sind Anna und ihre Eltern heilfroh.
Jetzt ist es so, dass jedes Familienmitglied ebenfalls ein eigenes System in sich ist – bestehend aus der inneren Familie und all den anderen Anteilen, die uns so vielfältig und manchmal komplex werden lassen.
Gehen wir noch eine Ebene tiefer: Für Annas Familie bedeutet das, dass, sobald Irinas System (all die verletzten/destruktiven Anteile) auf Annas Mutter trifft, es entsprechend reagiert. Es gibt gewisse Grundordnungen, nach denen jedes System strebt. Harmonie und Gleichgewicht stehen dabei ganz oben (zusammen mit Führung und Entwicklung). Das bedeutet, dass Annas Mutter sich innerlich anpasst, um das System im Gleichgewicht zu halten. So tut es auch der Vater und ebenso Anna, indem sie verzweifelt versucht, die Harmonie zu bewahren.
Grundprinzipien in Systemen: Führung, Entwicklung, Harmonie und Gleichgewicht.
Überschrift #2: Was ist mein Selbst?
In meiner Definition ist das Selbst unser Bewusstsein. Es beobachtet und ist weise. Das Ziel, das ich in meiner Arbeit verfolge, ist, das Selbst wieder in die Führung zu bringen. Anhand eines Beispiels möchte ich dir zeigen, was ich damit meine.
Wir unterteilen die inneren Anteile grob in drei Kategorien (nach Richard Schwartz):
Die Verbannten (destruktiv-verletzende oder verletzte Anteile, die so weit es geht von den Managern unterhalb der Oberfläche gehalten werden)
Die Feuerlöscher (sie löschen den "Brand" der Verbannten, sollten deren Gefühle hochkommen, meist durch Bewältigungsstrategien wie Ablenkung, Essen, Pornografie, Sport, Drogen usw.)
Die Manager (kontrollieren die Gefühle, wahren den äußeren Schein und versuchen, die Verbannten im Hintergrund zu behalten, um das Gleichgewicht zu managen)
Nehmen wir als Beispiel die USA mit Donald Trump als Präsident (das Selbst). Es bricht Krieg aus. Das Militär (Manager, Feuerlöscher) sorgt dafür, dass Donald Trump (das Selbst) geschützt wird. Sie bringen ihn in einen Bunker, während der Krieg läuft. Ist er der Situation gewachsen, führt er aus dem Bunker heraus, beobachtet, was im Land passiert. Sobald der Krieg beendet ist, bringt das Militär ihn wieder in seine alte Position. Dann sollte er wieder die Führung übernehmen, sofern er dazu in der Lage ist. Ist er das, wird das Militär und die Bevölkerung ihm vertrauen.
Übertragen auf die Psyche bedeutet das: Stress- und Notphasen sorgen manchmal dafür, dass die Anteile (das Militär) die Führung übernehmen, um das Selbst zu schützen. Traumageschädigte dissoziieren oder spalten Gefühle ab. Das große Ziel der persönlichen Entwicklung ist es also, das Selbst wieder in die Führung zu bringen. Das Selbst hat die Fähigkeit, innere Launen, destruktive Verhaltensweisen und dysfunktionale Emotionen zu beobachten. Was du beobachten kannst, kannst du nicht sein. Diese Fähigkeit hilft enorm, weil sie Raum schafft. Plötzlich erkennst du, dass ein innerer Anteil große Verlustangst hat – aber das definiert nicht deine Gesamtpersönlichkeit. "Ich bin nicht die Verlustangst, sondern ein oder mehrere Teile ängstigen sich vor Verlust." Diese Haltung bringt enorme Ruhe und Freiheit.
Wenn das Militär (Feuerlöscher) jedoch mit der Regierung (Manager) im Konflikt steht und Zivilisten (Verbannten) von Soldaten erschossen werden, entsteht Chaos. Das Selbst hat keine Möglichkeit, zu führen. Übersetzt bedeutet das, man muss sukzessive anfangen, mit den inneren Anteilen zu arbeiten – mit dem Militär, der Regierung und schließlich auch mit den Zivilisten. Herrscht im inneren Team Frieden, kann das Selbst leichter führen. Warum ist das oft eine Herausforderung? Weil ein Großteil der Aktivitäten der Anteile unbewusst abläuft.
Der Verstand fungiert dann oft als Pressesprecher, der die Entscheidungen des Unbewussten nach außen kommunizieren muss, obwohl er keine Ahnung von deren Entstehung und Hintergründen hat.
Überschrift #3: Meinem Selbst vertrauen
Wie wir sehen, ist das Vertrauen in das eigene Selbst nicht nur damit getan, dass man das tut, was man sich vornimmt. Es ist, wie so oft, ein wenig komplexer. Dem Selbst zu vertrauen, ist auch eine Form von Training und erfordert die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Zu verstehen, wann innere Anteile die Führung übernehmen (Manager, Feuerlöscher, Verbannten), setzt manchmal voraus, diese Anteile durch innere Arbeit ins Bewusstsein zu holen. Dann kennt man sie und kann anfangen, mit ihnen zu arbeiten. Hier gibt es tolle Möglichkeiten, z. B. aus EmTrace oder dem klassischen NLP.
Das Schöne ist, dass jeder Anteil im Kern eine positive Absicht für uns verfolgt. So haben wir vielleicht die ungeliebte Gewohnheit, an den Fingernägeln zu kauen. Die positive Absicht dahinter könnte darin bestehen, emotionale Anspannung abzubauen und einen Zustand der Ruhe zu erreichen.
Um bei der Metapher zu bleiben: Wenn das Selbst durch traumatische Ereignisse im "Bunker" geblieben ist, weil das Militär entschieden hat, dass es nicht fähig ist zu führen, bleibt das Militär an der Macht. Mit einem geschulten Auge kann man gut erkennen, wann Menschen in der Selbstführung sind oder wann gerade Anteile die Bühne betreten.
Überschrift #4: Fazit
Selbstvertrauen ist kein starres Konstrukt, sondern ein lebendiger Prozess, der aus dem bewussten Umgang mit unseren inneren Anteilen entsteht. Indem wir uns unserer inneren Dynamiken bewusst werden und das Selbst in die Führung bringen, schaffen wir eine stabile Grundlage für Vertrauen in uns selbst. Selbstvertrauen bedeutet nicht nur, Ziele zu erreichen, sondern auch, in schwierigen Momenten auf die Weisheit des eigenen Selbst zu vertrauen. Je besser wir unser inneres System verstehen und harmonisieren, desto mehr Raum geben wir diesem Vertrauen, zu wachsen und uns zu stärken.
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