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Schmerz und Wachstum: Eine Marathon Erfahrung

Ein Mann vor einer Blume sitzend

Stell dir vor, du läufst los – ohne Plan, ohne Playlist, einfach nur den nächsten Schritt vor Augen. In diesem Blogbeitrag nehme ich dich mit auf meine ganz persönliche Forschungsreise: Wie Spontanität und Struktur Hand in Hand gehen und warum Leistung ohne Sinn zur Leerstelle wird.


Überschrift #1: Spontanität, Wettkampf und Willen

Überschrift #2: Identität und Leistung

Überschrift #3: Fähigkeit und Annahme

Überschrift #4: Warten auf den richtigen Zeitpunkt


Ein Marathon ist nur eine Metapher: Dein Leben beginnt dort, wo du in Kontakt mit dir trittst.

Überschrift #1: Spontanität, Wettkampf und Willen


Ich weiß nicht wie es für dich ist, jedoch liebe ich Spontanität - Vorgestern gegen Abend war einer dieser Momente, der mich danach vollgeschwitzt in einen McDrive gebracht hat, um mich zu belohnen. Auf der anderen Seite sind Strukturen genauso wichtig, ganz nach dem Motto: Ohne Struktur keine Freiheit. Beides hat seinen Platz.


In den letzten Jahren habe ich immer mal wieder Competition gesucht: Meistens im Kampfsport oder im Geschäft. Was viele nicht wissen: Auch Status, Leistung, Wettkampf, Anerkennung und Bestätigung sind neurobiologisch in uns angelegt. Anstrengend werden diese Themen erst, wenn das Bedürfnis dahinter dysfunktional ist. Dann werden Menschen arrogant, bedürftig oder egozentrisch.


Sich mal sportlich oder spielerisch zu messen, kann unfassbar gut tun und zahlt auf die eine Hälfte der Selbstwertachse ein - Durchsetzung und Einfluss.


Und das kannst du natürlich auch mit dir selbst tun. In meinem Fall: Spontan einen Marathon laufen. Warum Laufen ein gutes Tool für das Beobachten deiner Programme ist? Du bekommst super schnelles Feedback. Vielleicht kennst du das: Du läufst, bist alleine, fragst dich warum du das machst, deine Gedanken drehen sich im Kreis, dein Knie meldet sich, die Kilometer werden nicht mehr - du bist genervt. Und bei vielen verschwindet das erst mit dem Anflug vom "Runner's High".


Sport wirkt auf so vielen Ebenen. Ich liebe die Bewegung und bin sehr froh, dass ich aus einem bewegungsintensiven Elternhaus komme.


Eine interessante Untersuchung aus der Neurowissenschaft zeigt: Machst du Sport-Übungen, auf die du keine Lust hast, gibt es einen winzigen Bereich in deinem Hirn, der davon profitiert. Dieser Bereich nennt sich "Anteriorer cingulärer Kortex (ACC)" und wird mit dem Willen assoziiert. Natürlich hilft dir auch dein Lieblingsworkout, um fit zu sein und zu bleiben. Sprechen wir aber von Performance und dem Ausbilden deines Willens, geht es vor allem darum: Ich mache genau die Übungen, das Workout, auf das ich keine Lust habe.


Anteriorer cingulärer Kortex (ACC)


  • Funktion: Konfliktmonitoring, Fehlererkennung und emotionale Regulation.

  • Effekt: Gezielte „Unlust-Übungen“ erhöhen die funktionelle Konnektivität des ACC mit anderen Kontrollnetzwerken, was die Fähigkeit verbessert, gegen das eigene „Nicht-Wollen“ anzukämpfen und langfristig den Willen auszubauen MDPIScienceDirect.


Überschrift #2: Identität und Leistung


In den letzten Jahren habe ich mich immer mal wieder mit dem Thema "Leistung" beschäftigt. Wieso gibt es Menschen, die fähig dazu sind, Ultra-Läufe zu machen? Was machen diese Menschen anders? Wie denken sie? Wie wurden sie sozialisiert?


Vielleicht kennst du David Goggins. Ex Navy Seal und ein herausragender Ultra-Läufer. Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich diesen Mann einfach spannend fand. Sehr kontrovers, schwer traumatisiert und hoch performant. Seine Bücher ziehen einem teilweise wirklich die Schuhe aus: Absolut traumatisierende Kindheit, dazu einen unbändigen Willen und einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst.


Aber mit der Zeit habe ich durch ein tiefes Verständnis von Traumatisierungen verstanden: Die Gründe, weshalb wir die Dinge tun, sind entscheidend. Was meine ich damit? Eine weit verbreitete Überlebensstrategie, die aus traumatischen Erfahrungen heraus entsteht: Aktionismus. Und das meistens blind.


Es geht darum, welche Persönlichkeit wir leben und entwickeln, während wir die Dinge tun. Und wie bewusst wir dabei sind.


Versteh mich nicht falsch: Hast du Freude am Laufen, hast du Freude am Laufen. Da gibt es keinen Grund sich über irgendetwas Gedanken zu machen.


Jedoch ist blinde Leistung und Aktionismus heute für mich nicht mehr erstrebenswert. Früher dachte ich: Wow, diese Person muss einen unbändigen Willen und Ehrgeiz haben. Und das ist sicherlich auch richtig. Laufe ich aber Ultra-Marathon, um einem tieferen Schmerz zu entkommen, mich in Erschöpfungszuständen wiederfinden, um aufsteigende Impulse (Gedanken und Emotionen) zu unterdrücken, ist das für mich nicht mehr erstrebenswert.


Für mich entscheidet heute: Die Haltung und Intention hinter dem Verhalten.


Eine Metapher:


Stell dir vor, dass wir zusammen trainieren. Es ist Sonntag, wir sind in Tirol und wir entscheiden uns dafür, einen Berg zu erklimmen. Als Workout-Update gibt es Steine zum Tragen. Unser Ziel: Die Steine in 4 1/2 Stunden auf den Berg zu bringen. Wir sind top motiviert, das Wetter gut und das Ergebnis ist klar - los gehts. Mit Tunnelblick und eisernem Willen halten wir nach 3 Stunden Aufstieg kurz an, weil du Pinkeln musst. Du gehst hinter ein Gebüsch, in der Nähe eines Abhangs. Während du der Natur und dir freien Lauf lässt, blickst du Richtung Abhang.. und plötzlich erkennst du etwas von großer Bedeutung. Ich wundere mich schon wo du bleibst, habe die Steine im Blick und will endlich das Ziel erreichen. Nach einigen Minuten kommst du wieder, ich schaue dir ins Gesicht und erkenne: Du siehst gelassen und gar nicht mehr so motiviert aus. Ich frage dich was los ist - deine Antwort: "Komm mal mit". Ich reagiere aus meinem Aktionismus und Ziel-Gedanken heraus und antworte: "Wir haben uns doch eine Zeit vorgenommen, lass uns weiter gehen". Du überzeugst mich und wir gehen durch das Gebüsch Richtung Abhang. Hinter diesem Gebüsch entpuppt sich ein spektakulärer Ausblick und ich bekomme Gänsehaut: Die Sonne taucht in einen orange-lilanen Abendhimmel ein. Ehrfucht pur. Und ich verstehe instinktiv was du mir sagen möchtest: Es geht nicht um das Ankommen, um das Ziel, sondern lediglich um den Weg.


Leistung ohne Bewusstsein ist wie ein Marathon im Dunkeln – du kommst an, weißt aber nicht, wo.

Die Message der Metapher: Renne ich, bin ich getrieben, komme ich nicht zur Ruhe, bestimmen Ängste mein Leben, habe ich kein Kontakt zu mir, dann verpasse ich all das Schöne auf dem Weg (und damit auch den Weg) - kurz gesagt: Ich bin nicht da, weil ich mich mental schon in die Zukunft projiziere.

Ein Auto vor einem Haus

Überschrift #3: Fähigkeit und Annahme


Ich bin nicht der beste Sportler oder Läufer - aber eine Fähigkeit habe ich die letzten Jahre trainiert wie ein Bessesener: Meine mentale Welt - und vor allem die Fähigkeit der Annahme. Weil ich ziemlich schnell verstand: Darin liegt eine unfassbare Kraft. Ich versuche das mal zu verdeutlichen.


Vier wichtige Dinge während des Laufes - Entscheidung, Erlaubnis, Annahme und Identität.


In meiner Vergangenheit habe ich oft Dinge getan, um andere Menschen zu beeindrucken. Heute ist das anders. Ich fuhr also in meine Heimat und lief los.


Im Gepäck: 0,75 Liter Wasser im Kofferraum, keine Laufschuhe und 25% Akku.


Da mein Körpergewicht im dreistelligen Bereich liegt, habe ich ziemlich schnell meine Füße und Waden gespürt. Nach Kilometer drei, und einem wunderbaren Frühlingsnachmittag mit genügend Sonne, traf ich eine Entscheidung: Scheiß drauf, ich laufe heute einen Marathon. Ich wusste: Der richtige Tag wird nie kommen. Und ich habe auch keine Lust mich vorzubereiten. Aber ich habe genügend geschlafen die Nacht davor und ausreichend mentale Fähigkeiten, um das durchzustehen.


Als ich über meine Intention philosophierte, machte ich ein Ergebnis klar: Das mache ich heute für mich, ausschließlich für mich und meine Identität. Die Person, die ich bin und weiterhin werden möchte - eine Identität, die die Widrigkeiten des Lebens annimmt, aufhört gegen alles und jeden anzukämpfen und Freude lebt.


Und ich spürte eine Wahrhaftigkeit. Das war authentisch. Und in dem Moment traf ich eine Entscheidung: Ich höre nicht auf, bis ich fertig bin. Es müssen entweder meine Schienbeine brechen oder ich muss bewusstlos werden - aber ich höre nicht auf.


Anfangs habe ich noch ein wenig Musik gehört und relativ schnell wurde mir klar: Darauf habe ich jetzt auch keine Lust mehr. Ich lief also durch das Dorf in dem ich aufgewachsen bin, besuchte ein paar Ecken, wo ich als Kind zum spielen war und freute mich übers Wetter. Nächster Step: Ich erlaube mir dabei Spaß zu haben. Wenn es um Wettkampf ging, war ich oft verhärtet. Es war ein Ernst drinnen. Ich habe aber gelernt, dass man in Freude viel besser performen kann. Und trotzdem kann man dem Ganzen mit einer gewissen Ernsthaftigkeit begegnen. Mir also Freude erlaubt und Kilometer für Kilometer runtergelaufen.


Nach Kilometer 7-8 kam mir ein Gedanke: Wieso mache ich das nicht öfter? Die Antwort kam dann im Laufe der nächsten Kilometer: Meine Knie und Waden haben sich intensiv gemeldet - Ich habe einfach keinen Laufkörper und trainiere in vollkommen anderen Belastungsbereichen.


Aber in der Vergangenheit las ich ständig bei Menschen, die in physisch extremen Leistungsbereichen unterwegs waren: Es ist die mentale Ebene, der Körper ist eh irgendwann extrem erschöpft, egal wie viel man sich vorbereitet.


Ich wollte es ausprobieren und wusste: Das Nicht-Annehmen im Bezug auf den Schmerz sorgt dafür, dass ich innerlich kämpfe. Das Ablehnen und in dem Moment es anders haben wollen - je mehr ich das eine will (das Ziel endlich erreichen) umso mehr lehne ich ab, dass ich es noch nicht erreicht habe. Und immer wenn das passiert, kippe ich aus dem gegenwärtigen Moment. Und das Annehmen bedeutet nicht, dass ich es erdulde oder erleide. Hier gehe ich ausführlicher auf diese Dynamik ein: Beitrag


Also: Schmerz annehmen. Strecke annehmen. Krampf annehmen. Temperaturen annehmen. Annehmen Annehmen Annehmen. Und es hat funktioniert. Es gab unterschiedliche Etappen und ich verstand: Es wird sich verändern. Die Frage ist nur: Kann ich es annehmen, dass es jetzt gerade noch nicht so ist. Und diese Erkenntnis schlug so dermaßen ein, dass ich alleine deswegen schon happy war. Und das klingt einfach und logisch. Ist aber nach 4 Stunden Laufen, absolut leerem Magen und wenig Wasser natürlich nochmal anders. Mir war klar: Ich werde keinen Meter gehen. Ich laufe einen Marathon.


Der Lauf war vorbei - ich war stolz. und mental sehr klar. Ich wusste im Vornherein: Es ist ein Experiment. Es geht mir nicht ums Laufen oder das Ziel. Ich möchte forschen, ausprobieren, dabei geht es aber nicht um den Sport. Ich habe wieder etwas über mich verstanden - und das werde ich in meiner Arbeit nutzen.


Ein kleines Mädchen lesend auf einem Sofa

Überschrift #4: Abwarten auf den richtigen Zeitpunkt


Lass es uns kurz machen: Der wird nicht kommen.



Überschrift #5: Fazit

Am Ende dieser Reise durch Spontanität, Struktur und die Tiefen der eigenen Psyche steht eine einfache Wahrheit: Wahres Wachstum entsteht nicht im ständigen Rennen auf ferne Ziele, sondern im bewussten Erleben des Weges. Es gibt nur den Weg. Wenn du lernst, im Hier und Jetzt mit deinem Körper zu sein, deine Schmerzen und Zweifel anzunehmen und deinen Willen gezielt an den Punkt zu lenken, wo du genau das tust, wovor du dich am meisten drückst, baust du Schritt für Schritt eine innere Stärke auf, die niemand mehr erschüttern kann.


Dein Ich wird dabei zum verlässlichen Kompass, der dir zeigt, was du wirklich brauchst – sei es im Sport, im Beruf oder in Beziehungen. Indem du deine Identität nicht in äußeren Rollen, sondern in deiner gelebten Präsenz findest, wirst du plötzlich entdecken, dass Leistung und Genuss keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig beflügeln können.


Also zieh deine Laufschuhe an oder setz dich einfach hin, atme tief ein und frage dich: „Was fühlt sich in diesem Moment wirklich richtig an?“ Denn genau hier, in der Verbindung von Entscheidung, Erlaubnis und Annahme, beginnt dein wahrhaft eigenes Leben.







 
 
 

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