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Ein Appell an einen gestorbenen Gott

  • Autorenbild: Brian Neuhöfer
    Brian Neuhöfer
  • vor 5 Stunden
  • 7 Min. Lesezeit
Pferd auf verschneiter Wiese

Was kann ein junger Mann Ende 20 schon über Gott, Glauben oder Spiritualität sagen? Vielleicht nichts Kluges. Vielleicht nichts Neues. Vielleicht nichts, was sich beweisen lässt.


Und genau deshalb schreibe ich diesen Text.


Es ist keine Lehre, kein System und kein spirituelles Versprechen. Es ist die Geschichte einer Suche – und eines Moments, in dem diese Suche aufgehört hat.


Nicht im Kopf. Sondern im Erleben.


Sehnsucht und Verlangen


Mit 22 bin ich in eine Suche abgerutscht. Nach Wahrheit, nach Gott, nach Glaube, nach Spiritualität. Ich habe mich bei Mönchen einweihen lassen, einen sogenannten "Weg ins Licht" gemacht, eine weise alte Frau als Mentorin gehabt und gesucht. In Büchern. In Filmen. Auf Seminaren. In Meditationen. Bei Heilern, Coaches und Therapeuten.


Ich wusste damals, dass ich gesucht habe. Nur ich wusste nicht, wonach ich gesucht habe.


Wie ein gestrandeter Entdecker/Forscher auf einer einsamen Insel, der vergessen hat, was er überhaupt sucht. Ist es ein Schatz auf der Insel, den er sucht? Ist es die Insel, die er sucht? Wofür ist er angetreten, bevor das Schiff gekentert ist und er bewusstlos wurde? Er hat es vergessen. Oder vielleicht wusste er es auch nie.


Auf meiner Entdeckungsreise habe ich wohl nichts öfter gehört, als das Wort Demut. Von meiner Mentorin, meinem Ausbilder ja und manchmal sogar von meinem besten Freund und meiner Mutter.


Kurz vor dieser Reise war mein Bewusstseinszustand auf dem Level von Rationalität, Wissenschaft und man wird das doch alles erklären können. Gott gab es für mich nicht, maximal ein Universum. Vielleicht irgendeine Kraft, die irgendetwas zusammenhält, gestaltet, verbindet. Wenn mich jemand gefragt hat, ob ich glaube, dann habe ich eine Geschichte aus meinem Verstand erzählt.


Ja, "ich glaube schon an irgendetwas".


Für mich war es ein Fortschritt nicht mehr zur Kirche zu gehen, die ich wohl 12-Jahre meines Lebens - mindestens jeden Sonntag - von innen gesehen habe.


Für mich war es ein Fortschritt, nicht mehr an Gott zu glauben.


Für mich war es ein Fortschritt, dass Gott "gestorben" ist.


Gleichzeitig hatte ich Panikattacken und eine Angststörung. Als die langsam nach lies, habe ich meine Suche gestartet. Ich war wie ein Getriebener. Auf der Suche nach: "Gott"? Der "Wahrheit"?


Wie der Verirrte und Gestrandete auf einer einsamen Insel, panisch und getrieben umrandet er nach und nach die Insel, sucht und sucht - aber wonach eigentlich?


Zu ein bisschen Geld gekommen (mehr als das 10fache meines Netto Einkommens damals) - ok, das ist es auch nicht.

Therapie und Coaching gemacht, keine Angststörung mehr - Leben 100x besser, aber das ist es auch nicht.

Eine heilende Beziehung auf Augenhöhe - ein Lebenstraum aber auch das ist es nicht.

Endlich mental und körperlich gesund - auch das hat meine Suche nicht beendet.


Etwas hat mir in meinem Herzen gefehlt. Etwas, was ich nicht benennen konnte.


Aber ich hab doch die humanistischen Therapieverfahren, Meditations- und Heilungsmethoden genutzt, als Anwender und Klient?!


War das schon alles? Ist das jetzt mein Leben?


Es blieb nicht bei diesem Zustand. Etwas ganz anderes passierte. In einem Moment, änderte sich mein Leben fundamental.


Ja, ich hatte diesen einen Moment. Menschen werden ja oft in Biographien, Podcasts- und Interviews nach Schlüsselmomenten gefragt. Viele sagen dazu: Nein, es waren viele kleine, die den eigenen Kompass ausgerichtet haben. Und natürlich ist das auch bei mir der Fall.


Und trotzdem gab es diesen einen Moment.


Das war das größte Geschenk meines ganzen Lebens (nach dem Leben an sich).


Und an dem Tag hat meine Suche aufgehört.


Vielleicht wird es dir jetzt ein bisschen abstrus. Kitschig. "Das ist doch nur Einbildung".


Jeder, der so eine Erfahrung machen durfte, wird dir das Gleiche sagen: Es ist ein Moment des Erkennens. Ein Moment absoluter Wahrhaftigkeit.

Ein Moment, der sich mit Worten nicht beschreiben lässt.


Und trotzdem werde ich es versuchen.


Es ist 22:13 Uhr, Mittwoch - ich liege auf meinem Sofa und döse vor mich hin. Zurück in meiner Heimat angekommen, eine nicht funktionierende Fernbeziehung, mein Geschäft läuft nicht, wie soll es weitergehen? Ich war lost.


Eine Kerze brennt auf dem Couchtisch, ansonsten ist der Raum dunkel. Ich wollte aufstehen, Zähne putzen und schlafen - und irgendetwas in mir sagte: Ach, genieß doch noch den Moment.. für eine Sekunde.


Wieder hingelegt, die Augen geschlossen und einfach existiert. Plötzlich erinnerte ich mich an etwas, was ich als Kind oft tat: Im Kindergarten war ich mit den anderen Jungs zusammen, wir schlossen dann unsere Augen und erzählten uns gegenseitig, was wir in den Augenlidern sahen.


"Ich kann Sterne sehen, wow ich sehe eine Sternschnuppe".


Ich erinnerte mich daran und musste ein bisschen Schmunzeln. Ich beobachtete das Innere meiner Augenlider wie damals und sah wieder "Sterne und Sternschnuppen".


(Eigentlich sind es Phosphene. Das sind Lichtempfindungen, die entstehen, ohne dass Licht ins Auge fällt.)


Und plötzlich passierte etwas. Es war, als würde ich in diesen "Raum" hinter meinen Augenlidern schauen können.


Es entstand ein innerer Raum und aus den "Sternen" wurde ein Universum. Ich konnte erst wenige Zentimeter, dann Meter - Ja, am Ende hunderte von Kilometern hinein schauen. Es war wie ein Anfang und ein Ende aber ohne Anfang und ohne Ende.


Ich kann es nicht besser beschreiben.


Gleichzeitig überkam mich eine Liebe, die ich noch nie zuvor gespürt habe. Ich habe in jeder Faser meines Körpers Gänsehaut gespürt. Diese Liebe berührte mich so intensiv, dass ich sofort anfing zu weinen. Aber es tat nicht weh. Es war, als würde es mich diese Tränen kosten, um zu verstehen, wonach ich so lange gesucht habe.


Diese Erfahrung hat mein ganzes Leben verändert.


Bis Heute.


Diese 15-minütige Erfahrung bestimmt mitunter mein ganzes Leben, weil es mich komplett neu ausgerichtet hat. Danach war nicht alles besser. Aber ich habe etwas verstanden, was ich nicht im Kopf verstehen konnte. Eine Erfahrung im Herzen. Ein Geschenk. Ein Glaubenserlebnis. Ganz gleich wie man es nennt. Es war so deutlich, so klar, so unmissverständlich.


In diesem Zustand zogen Situationen, Konflikte, Dinge die mir nicht gefielen zu dem Zeitpunkt, im Zeitraffer vor meinem geistigen Auge umher.


Und ich konnte in diesem Zustand alles lieben. Die Menschen, die Konflikte, die Umstände.


Ich habe ganz selten ähnliche Momente. Nie so stark wie an diesem Tag. Aber manchmal sagt dieses Licht nochmal Hallo.


Aber nicht weil sich dieses Licht als so gnädig erweist, diesen elendigen Sünder mal zu erleuchten. Das wäre die alt-kirchliche Sichtweise. Dual - gut - böse.


Das hält nicht. Vor allem wenn es um Heilung geht.


Wenn man mich heute fragt, wie man zu diesem Glauben kommt, zu einem erlebbaren, spürbaren und pragmatischen Glauben, der ohne viel Hokuspokus im Herzen stattfindet, und das Leben auf magische Art und Weise einfärbt, dann gibt es für mich eine ganz einfache Antwort.


Es aus dem Herzen wollen.


Nicht aus dem Ego, um irgendwas zu erreichen. Sondern aus einer tiefen Überzeugung.


Gefrorene Heide Landschaft

Viele von uns denken, dass es fortschrittlich sei, dem traditionellen Glauben der Kirche abgeschworen zu haben. Und ich verstehe das. Es gibt nicht viele gute Angebote, um sich spirituell in einer "dualistisch-geprägten" Kirche wirklich weiter zu entwickeln.


Was Menschen aus fanatischen Überzeugungen im Namen des Glaubens machen, hat nichts mit dem Glauben zutun, sondern mit der jeweiligen Bewusstseinsstufe. Die Welt lässt sich nicht in gut vs. böse aufteilen, ebenfalls funktioniert Täter und Opfer nicht. Die Welt lässt sich also auch "non-dual" wahrnehmen.


Aber das muss man aushalten. Und dafür braucht es das Bewusstsein. Und dieses Bewusstsein fängt oft bei der Selbsterkenntnis an. Deshalb liebe ich meine Arbeit, weil sie langsam den Geist wieder öffnet, für das non-duale.


Gestern habe ich ein Interview von einem jüngeren Künstler gesehen, den ich ein bisschen verfolge. Musiker, intelligent, hat Philosophie studiert. Die Interviewerin fragt ihn: Bist du religiös? Glaubst du an irgendetwas? Er antwortete: "Nein, ich habe es versucht, aber es hat nicht funktioniert. Ich glaube, dass Menschen Religion, Spiritualität für wahr halten, weil es Ihnen begegnet. Aber dann ist es keine Realität, sondern nur subjektive Wahrnehmung."


Und ich verstehe ihn. Er steckt auf der rationalen Stufe (Ken Wilber Bewusstseinsstufe - Orange Stufe) fest. Nur oft erkennen wir unsere Bewusstseinsstufe nicht, weil wir maximal das kennen, was wir erlebt haben. Nur gibt es eben noch darüber hinaus etwas, was wir erleben und erreichen können. Und genau dafür braucht es Bewusstsein. Nicht nur logisches Denken und Erklären, sondern Bewusst-Werdung und Erfahrung.


Ich zitiere trotzdem mal die Bibel, weil ich auch an Jesus glaube. Auch an Buddha. Es geht für mich nicht um die Menschen oder um die sogenannten "Erleuchteten".


Lukas 17,20-21: Auf die Frage der Pharisäer, wann das Reich Gottes komme, antwortet Jesus: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen und Warten. Denn siehe, das Reich Gottes ist in euch (oder: mitten unter euch)“.

Ich möchte mir kein Urteil über die Weltreligionen erlauben, daran habe ich gar kein Interesse. Es geht nicht um die Form oder die Art des Praktizierens (in meinen Augen), ob man nach links, rechts, oben oder unten betet, meditiert, singt. Sondern dass man sich in seinem Bewusstsein weiterentwickelt und hinterfragt.


Jesus war der lebende Beweis für Entwicklung, kritischem Hinterfragen und Anpassung.


Und das alles kann man auch in einer demütigen Haltung machen. Ich lerne es jeden Tag aufs Neue - und hoffe immer weniger von dem ganzen Quatsch machen zu müssen, den ich manchmal so veranstalte.


Finde das Göttliche oder den Zugang dazu, in dir.


Du musst diesen inneren Reichtum nicht aufbauen oder erschaffen, lediglich erkennen, wo und wann du was davor gebaut hast (Ego bzw. Charakterpanzer).


Und Demut hilft.


Aber darüber kann ich dir auch nicht so viel erzählen.


Es gab am Haus von C.G. Jung in Küsnacht eine bekannte Inschrift: „Ob gerufen oder nicht, Gott wird gegenwärtig sein“.


In einem Brief teilte er mit, dass er dies für sich und seine Patienten als Erinnerung verstanden wissen wollte, dass der Anfang der Weisheit die Ehrfurcht vor Gott sei „timor dei initium sapientiae“.


Er bestimmte, dass diese Worte, die ihn offensichtlich sein Leben lang begleiteten, auch auf seinem Grabstein eingemeißelt werden sollten.


Denn laut Jung hat jeder ein Bedürfnis nach Spiritualität, Transzendenz und Glaubenserfahrungen.


Auch du.


Dein Brian

 
 
 
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