Die bittere Wahrheit: Dein Umfeld bestimmt dein Schicksal – bis du dich löst
- Brian Neuhöfer
- 9. Sept.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Sept.

Sich selbst einen Brief zu schreiben: Therapeutischer Humbug? Jedes Jahr bekomme ich am 01. Januar eine Mail - von mir selbst. Dafür gibt es ein kostenfreies Tool und ich wiederhole das von Jahr zu Jahr. Heutzutage sind es eben keine Briefe mehr, doch die Wirkung bleibt die selbe. Warum ich das tue? Manchmal vergessen wir, wie weit wir bereits gesprungen sind - und wie wir mit zitternden Knien am Abgrund standen - und es dann trotzdem getan haben.
„Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen.“ – Lateinisches Sprichwort
Status, Oberlehrer, Wichtigtuer.
Mit diesem Blogbeitrag laufe ich Gefahr, dass ich mich als geläutert inszeniere. Warum? Weil ich Erkenntnisse teile, die aus persönlichen Geschichten entstanden sind. Diese Erkenntnisse hat aber jeder von uns. Nun ist es mein Job, über diese Sachen zu sprechen, schreiben und mit Menschen zu arbeiten. Aber auch das tun viele. Und mich hebt auch nichts besonders von diesen "Vielen" ab. Wir möchten uns so oft von anderen abheben. Ja, einige Sachen kann ich gut in meinem Job. Und außerhalb? Dutzend Bereiche von denen ich keine Ahnung habe.
Also wenn du vielleicht im Laufe des Lesens denkst: Oh man, das klingt hochgestochen, oder "das würde ich auch gerne können" - denk daran: Gibst du mir einen Nagel und einen Hammer, rufe ich 15 Minuten später einen Kollegen an, der das dann für mich erledigt, weil ich oft einfach zwei linke Hände habe.
"Das Leben baut nichts auf, wo es nicht woanders die Steine für her nimmt".
Einblick
Vor 10 Jahren wurde ich von der Polizei eingesackt. Zusammen mit Freunden habe ich versucht, über Geld und Status etwas zu repräsentieren, was keiner von uns wirklich wahr: Cool und hart. Eigentlich waren wir unsicher, viel zu oft unehrlich - und vor allem eins: Orientierungslos.
Es gab dann irgendwann auch eine Gerichtsverhandlung - Freispruch für mich. Ehrenamtlich vorher gearbeitet, Reue empfunden, gezeigt, mich verändert und einen guten Anwalt gehabt.
Das war das Ende dieser Reise. Aber wie wir alle wissen, fängt die Veränderung nicht am Ende der Geschichte an.
Als die Polizei mich festgemacht hat, war ich gerade 18 geworden. Ein verregneter Tag, 35km entfernt von meinem Geburtsort. Ich saß in einem entfernten Dorf auf meinen Händen, um mich herum standen 8 Beamte. Ich war jung, naiv und wusste nicht wohin mit meinem Leben. Zerrüttete Familienverhältnisse, Alkohol und Drogen.
Eine Entschuldigung für mein Verhalten? Nein.
Als ich dort saß, habe ich versucht Augenkontakt zu den Beamten zu vermeiden. Die hatten Sturmmasken auf und in so einer Situation redet man nicht viel.
Also saß ich dort an einer Hauswand, habe in den Himmel gestarrt und mich eine Sache gefragt: Wie konnte es so weit kommen? Was habe ich aus meinem Leben gemacht?
Die Stimme meiner Mutter kann ich bis heute in meinem Kopf hören:
"Junge, was machst du nur?"
In diesem Moment wusste ich: Das ist nicht mein Leben.
Und ich fing an mich aus einem "Freundeskreis" rauszuschälen, indem Drogen, Kriminalität und verzehrte/verletzte Werte der Alltag waren.
Der kleine Junge vom Dorf - orientierungslos, planlos - aber mit einem Wunsch: Ein ehrliches, aufrichtiges und "normales" Leben. Ich fing an, mich zu orientieren. Zuerst in Büchern, dann mit realen Menschen. Schritt für Schritt änderte ich mein Umfeld, getragen von einem Ziel: Ich möchte ein neues Leben. Und im Kern: Eine neue Persönlichkeit.
Mein erstes Buch über Persönlichkeitsentwicklung war von Tony Robbins: Das Power Prinzip. Kurz nach der Verhaftung ist mir das zugefallen. Irgendwie wusste ich: Wenn ich so werden konnte, durch Vorbilder im Umfeld, Prägung durch Hip-Hop und Medien, dann muss es auch in eine andere Richtung gehen können.
Und die größte Barriere? Rauszuwachsen aus meinem Umfeld. Plötzlich habe ich mein Denken verändert und unser Verhalten hinterfragt. Dass ich damit nicht gern gesehen war, kannst du dir vorstellen. Jemand der plötzlich unausgesprochene Wahrheiten an die Oberfläche holt, ist im Kern immer ein Verräter (in den Augen der Gruppe). Vor allem in so einem Umkreis.
Warum? Weil er die Werte in einem System bricht. Dieses Hinterfragen gehörte in dem Kreis nicht dazu. Aber nicht weil es an Intellekt gefehlt hat, sondern weil es um Zugehörigkeit ging. Letztlich stellt sich für uns nur eine Frage: Fördert das was ich tue, meine Zugehörigkeit zu Gruppe XY? Wenn das nicht der Fall ist, fühlt sich das wie Verrat an.
Und oft ist die letzte Konsequenz dann: Raus aus dem System. Gesagt, getan - weggezogen und meine Zugehörigkeit geopfert. Dieser Abnabelungsprozess hatte einen hohen Preis. Und trotzdem wusste ich: Das ist das Richtige.
In der Gerichtsverhandlung saß ich nicht alleine. Ein damaliger Freund und Mitangeklagter war dabei. Einige Jahre haben wir auf diese Verhandlung gewartet und für mich war eins klar: Ich werde eine Aussage zu meiner Person machen. Reinen Tisch. Das war auch meinem Mitangeklagten bewusst. Heute gibt es das schwarz auf weiß, dass ich nur eine Aussage zu meiner Person gemacht habe. Und trotzdem wurde danach das Gerücht erfunden, dass ich die andere Partei verraten hätte.
Und das habe ich auch. Aber nicht vor Gericht, sondern weil ich ein neues Leben wollte - und damit das System/den Umkreis verlassen habe. Das war mein "Verrat".
Und rückblickend betrachtet: Eine der wichtigsten Entscheidungen meines Lebens.
Das einige Menschen aus dem Umkreis damals zur Polizei gegangen sind, ausgesagt haben, weil sie vorgeladen wurden - hat damals niemanden mehr interessiert. Der Verräter ist der, der das System verlässt und die Werte bricht.
Aber blinde Loyalität ist heute kein Wert mehr für mich.

Ein Lichtblick
Ob man es glaubt oder nicht: Vorhaben funktionieren, wenn man dranbleibt.
Aber bevor ich mir selbst wirklich begegnet bin, habe ich eine neue Schein-Identität aufgebaut. Das komplette Gegenteil vom Vorherigen: Versucht klug zu wirken, unnahbar, pseudo-intellektuell - Hauptsache nichts mehr mit dem "Alter-Ego" zutun haben. Dass auch das nicht wahrhaft war, kannst du dir sicher vorstellen.
Um da irgendwie die Mitte zu finden, hat mir das Leben, meine Psyche oder auch der liebe Gott, Panikattacken geschenkt. 2 1/2 Jahre lang unerklärliche (damals für mich) Todesängste. Nachts aufgewacht, geschwitzt, geschrien. Angst verrückt zu werden.
Ob ich mich mir selbst sonst jemals gestellt hätte? Wahrscheinlich nicht.
Die Angst wurde mein Lehrmeister. Viele Ego-Sachen sind rausgeflogen.
Warum? Weil einfach keine Kraft dafür da war. Ich war ständig am Rande des Durchbrennens. Ständig so nah an einer Panikattacke und Kontrollverlust. Das wurde irgendwann mein neues Normal.
Und am Ende konnte ich dieses Kapitel nur durch äußere Hilfe überwinden. Wenn du jetzt nochmal an die Geschichte mit meinem Umfeld denkst, dann weißt du, weshalb so viele Menschen sich keine Unterstützung holen: Für viele bedeutet selbst das, ein Verrat der Kernwerte (meist aus der Familie).

Einfachheit vs. hochkomplexe Konzepte
Wenn es um Wissen geht, zieht mich heute vor allem eines: Erfahrungswissen. Ich spreche nicht mehr mit Menschen über meine Vorhaben, die denken, dass XY geht, sondern die an dem Ziel sind, wo ich hin möchte.
Und Erfahrungswissen entsteht dann für mich, wenn ich sehe: Es wird gelebt.
Hochkomplexe Konzepte sind manchmal spannend, wenn ich mit "Arbeitskollegen" philosophiere oder Fortbildungen mache. Bei Ersterem geht es um Kreativität, Reflexion. Bei Zweiterem lerne ich von jemanden, der das schon lange lebt. Das ist für mich bedeutend.
Warum ich das erwähne: Ich möchte ein paar einfache Learnings mit dir teilen - die mich aber wirklich bewegen, tragen und berühren. Keine Konzepte oder schlaue Sachen, die ich mal irgendwo gehört habe.
Überzeugungen, Erfahrungen und Erkenntnisse, die meinen Lebensweg einschneidend verändert haben. Von Angststörung, 0 Vertrauen - hin zu: Tiefem Urvertrauen, Hingabe ans Leben und tiefen innerem Frieden.
Und natürlich teile ich nur die mit dir, die mir wirklich dienen.
Ein Brief an mein 18-Jähriges Ich
Hallo Brian,
ich weiß, du sitzt gerade an einem Punkt, an dem alles wackelt. Orientierungslos, voller Zweifel, irgendwo zwischen Mut und Flucht.
Du fragst dich: „Wie konnte es so weit kommen?“ – und ich kann dir sagen: Es kommt noch viel. Aber nicht so, wie du es gerade fürchtest. Es kommt so, dass du staunen wirst, wenn du zurückblickst.
Es wird Momente geben, in denen du dich verloren fühlst. Du wirst Angst spüren, Scham, Wut – und all das sind keine Gegner, sondern Wegweiser. Jede Emotion will dir was zeigen. Hör hin. Lauf nicht immer davon.
Du wirst lernen, dass jeder Mensch – auch du – mit dem, was er tut, etwas Gutes für sich erreichen will. Auch wenn das Ergebnis manchmal Chaos ist. Schau tiefer, immer geht es um Bedürfnisse. Und je besser du lernst, deine zu erkennen, desto mehr Frieden wirst du finden.
Es gibt Dinge, die wirst du erst viel später verstehen: Dass Trauma nicht nur Schmerz ist, sondern Spaltung. Dass Liebe nicht nur ein Gefühl ist, sondern eine Haltung. Dass du mit Glauben Berge versetzen kannst – und genauso mit deinem Zweifel.
Also wähle weise, woran du glaubst.
Wenn du Angst hast: Sie ist nicht echt. Sie ist eine Illusion, die aus all dem Ungesagten, Ungespürten, Verdrängten wächst. Hab den Mut, dich dem zu stellen. Früher oder später musst du das ohnehin.
Und wenn du losgehst: Mach es nicht nur mit Strategie, sondern mit Gefühl. Denn das Gefühl trägt dich weiter, als jeder Plan es je könnte.
Es wird wichtig, dass du dich immer wieder fragst: „Was will ich wirklich? Und was lehne ich vielleicht gerade ab, weil ich es zu sehr will?“ In dieser Spannung liegt oft die Wahrheit.
Du wirst erleben, wie entscheidend deine ersten Jahre waren, wie tief Familie prägt – und dass Bindung, Nähe und Distanz mehr mit Erfolg, Vertrauen und sogar Geld zu tun haben, als du dir vorstellen kannst. Aber auch das kannst du verwandeln.
Und irgendwann wirst du verstehen: Spiritualität ist kein Fremdwort und kein Hokuspokus. Sie ist ein Bedürfnis, tief in dir angelegt.
Und am Ende läuft alles auf eins hinaus: Liebe. Nicht die kitschige, sondern die, die Haltung ist.
Du wirst fallen. Und du wirst wieder aufstehen. Immer. Und wenn du mir jetzt nicht glaubst, dann vertraue wenigstens darauf: Alles in deinem Leben wird dich näher zu dir bringen.
Dein zukünftiges Ich
Fazit
Heute schreibe ich kein Fazit. Das überlasse ich dir. Vielleicht magst du deinem Alten-Ich auch einen Brief schreiben und die Geschichte fortsetzen.
Dein Brian
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